Nachdem wir häufig von anderen gefragt wurden was, N. denn nun sieht, beschafften wir uns Anfang des Jahres Simulationsbrillen (Bezugsquelle Edition Bentheim).
Mit diesen Brillen wird ein Seheindruck von etwa 10 % vermittelt. Als ich das erste Mal durch diese Brille sah, traten mir Tränen in die Augen, so erschreckend war dieser Eindruck für mich. So sollte N. sehen??? Es ist schwer diesen Seheindruck zu beschreiben… alles ist irgendwie milchig, neblig und verschwommen. Mit dieser Brille auf der Nase betrachteten wir N`s. Spielsachen und schnell wurde uns klar, warum er manche Spielsachen so gerne hat und andere nur wenig nutzt. Knallbunte Farben (wie sein gelber Kuschelmond der ihn auf Schritt und Tritt begleitet, Duplo Steine, die knallbunten Fisher Price Spielsachen, seine Tigerente,…) leuchten wunderschön und fallen auf. Allerdings sind die Konturen, Formen nicht klar erkennbar. Bei den Bilderbüchern, die N. immer wieder raus holt und mit Begeisterung immer wieder ansieht war mir unbegreiflich was N. wohl daran findet. Überhaupt konnte ich mir einfach nicht erklären wie N. viele Sachen macht bzw. erkennt.
Freunde und Familie ließen wir durch die Brille sehen und nach dem ersten Schreck fragte jeder: „Das kann nicht sein, wie macht er das???“
Wir versuchten uns und den anderen immer wieder klar zu machen, das N`s. Seheindruck irgendwie anders sein muss und er es ja nun mal nicht anders kennt. Verstehen konnten wir trotzdem nicht warum er kleinste Krümel findet, Bilderbücher so liebt, mit der Motorikschleife und ihren kleinen Kugeln spielt. Obwohl wir gerade von diesem „Phänomen“ immer wieder gehört hatten.
N., der bisher die Sonnenbrille nur bei stärkstem Sonnenschein getragen hatte, wurde blendungsempfindlicher und behält seit dem Frühjahr die Sonnenbrille auch dann auf, wenn ihn die Sonne nicht direkt blendet. Zusätzlich haben wir ihm eine Baseballkappe gekauft, die er mit Begeisterung trägt und im Gesicht ein wenig Schatten spendet.
Als N. 13 Monate alt war lief er endlich allein. Darüber waren wir ziemlich froh, an einer Hand lief er nämlich schon, seit er 9 Monate alt war. Mit dem selbständigen Laufen taten sich allerdings ein paar andere Probleme auf, die mit seiner Sehbehinderung zusammen hingen und über die wir häufig genug ins Staunen gerieten.
In unserer Wohnung hatte er recht wenig Probleme und fand sich gut zurecht, er meisterte jede Hürde und hatte auch bei kleinen Stolperstellen (Fußleisten…) keine Probleme, hatte er die Räume ja auch lange Zeit auf allen vieren erkundet.
Die Treppen in unserem Haus hatten es ihm besonders angetan. Seine Begeisterung die Treppen hoch und runter zu steigen beobachteten wir mit gemischten Gefühlen. Zuerst krabbelte er die Stufen hoch und ging sie (sich am Geländer festhaltend) wieder runter. Uns fiel schnell auf, das N. den Höhenunterschied der Stufen offenbar nicht sah, sondern ertastete.
In anderen Wohnungen fand er sich erstaunlich schnell zurecht. Kannte er sich nicht richtig aus , ging er bei verschiedenfarbigen Bodenbelägen auf die Knie und tastete. Erst wenn er sich sicher war, ob dort eine Stufe ist oder nicht, ging er weiter. War er ein paar Mal an der selben Stelle, kennt er sie und hat kein Problem mehr damit.
Im Freien hatten wir zunächst größere Probleme und kleine Spaziergänge nur die Straße runter erforderten von uns jede Menge Geduld. Die erste Zeit ging N. draußen nur an der Hand spazieren. Als er die ersten Schritte alleine wagte kamen wir (und vor allem andere Spaziergänger oder unsere Nachbarn) aus dem Staunen nicht mehr raus. Bei farblich unterschiedlichen Bodenbelägen (unser Gehweg gleicht einem Flickenteppich, da letztes Jahr einige Leitungen erneuert wurden) ging N. auf die Knie um sicher zu sein, daß es sich nicht um eine Stufe handelte. So wurden unsere Spaziergänge in der ersten Zeit sehr zeitaufwendig und gingen meist nur einmal die Straße runter und wieder hoch. Als dann noch Licht und Schatten (wieder ein farblicher Unterschied) dazu kamen, wurde es noch etwas länger… Inzwischen geht N. kaum noch auf die Knie, meist tastet er mit dem Fuß. Viele Sachen weiß er nun auch einfach. Bordsteinkanten, Kanaldeckel oder ähnliches sind für ihn kein Problem mehr. Ist er sich nicht sicher geht er vorsichtig oder hebt einfach auf Verdacht den Fuß, wie bei einer Stufe. Fühlt er sich besonders unsicher helfen wir ihm. Unsere Signalwörter heißen „Vorsicht STUFE“ und „alles in Ordnung“. Dann weiß N. genau Bescheid ob eine Stufe/Unebenheit kommt oder ob er so weiter gehen kann.
Ein Zoobesuch im Sommer war für uns alle sehr enttäuschend. Frohen Mutes fuhren wir in den Zoo um N. all die schönen Tiere zu zeigen. Wir hatten ja schon damit gerechnet, dass N. nicht alle Tiere sehen kann, aber so? N. hat mal gerade 3 oder 4 Tiere erkannt, jedenfalls hat er sonst keine Reaktionen gezeigt und hat sich sehr schnell gelangweilt und ist schließlich eingeschlafen.
Ein paar Tage später besuchten wir ein Wildgehege. Die Rehe waren direkt hinter dem Zaun, N. stand nur wenige Zentimeter von ihnen entfernt und konnte sie füttern. Er hatte jede Menge Spaß und das entschädigte uns für den missglückten Zoobesuch.
Wir haben ganz allgemein die Erfahrung gemacht, das sich viele Sachen einfach mit der Zeit von selbst erledigen. Vieles dauerte bei N. einfach länger als bei normal sehenden Kindern, aber mit ein wenig Geduld erledigte sich das Meiste „von alleine“.
Ein kleiner Stoß in die richtige Richtung kann aber niemandem schaden. Den kleinen Anstoß liefern am einfachsten und wirkungsvollsten andere Kinder. Zumindest haben wir diese Erfahrung gemacht. Der regelmäßige Kontakt mit anderen Kindern tut N. wirklich gut und viele Dinge hat er sich von seinen Freunden abgeguckt und so wirklich viel gelernt.
Wir warten jetzt gespannt auf N`s. erste Worte. Bisher müssen wir ja noch immer raten, was N. wohl sieht oder wo er ein Problem hat…
Fam. S. 2001