Erfahrungsbericht betroffener Eltern

Angehörigen

Als unser Sohn N. geboren wurde haben wir ziemlich gestaunt. Wir haben beide dunkle Haare und unser Kleiner hatte ganz viele blonde Haare. Ich erinnere mich, das uns eigentlich jeder gefragt hat, welche Haarfarbe der Postbote hat… Wir haben alle nur darüber gelacht und uns weiter keine Gedanken gemacht. Immerhin waren der Bruder und der Vater meines Mannes als Kinder auch beide ganz hellblond. Inzwischen haben beide hellbraune Haare und sind braungebrannt.

Bei einer der Untersuchungen fiel dem Kinderarzt ein Augenzittern auf, der Pendelnystagmus. Er überwies uns an einen Augenarzt. Der ortsansässige Augenarzt konnte uns nicht weiterhelfen, er überwies uns in die Uni Klinik M..
Im Mai, als N. gerade 4 Monate alt war, hatten wir dort einen ersten Termin. In der Sehschule bekam N. Augentropfen und seine Augen wurden gemessen. Es stellte sich heraus, das er weitsichtig war und die Werte lagen bei +4 und +5. Uns wurde gesagt, das diese Werte noch in der Altersnorm liegen. Der Pendelnystagmus wurde bestätigt und es bestand der Verdacht auf okulären Albinismus. Für uns waren das nur Fremdwörter, ziemlich nichtsagend. Leider waren die Informationen die wir in M. bekamen nur sehr dürftig, aber für`s erste ein Riesenschock. Ich habe nur noch in Erinnerung das die Orthoptistin von maximal 80% Sehstärke und unheilbar sprach. Betroffenen Eltern werde ich wohl kaum erklären müssen was solch eine Diagnose für ein Schock ist. Ich habe geweint und kam mir gleichzeitig fast undankbar vor, mein Kind hat „nur“ Albinismus, keine schweren körperlichen Schäden oder gar eine Krankheit die tödlich enden kann…

Zunächst wollten wir diese Diagnose nicht so recht wahrhaben und schon gar nicht den Verdacht auf Albinismus.
Mir fiel auch gleich das Kaninchen ein, was ich als Kind so lieb hatte, „Schneeweißchen“ war ganz weißlig; und hatte rote Augen. Mir fiel mit Schrecken Heino ein (inzwischen habe ich allerdings gelesen, daß der gar nicht von Albinismus sondern einer anderen Augenkrankheit betroffen ist).
So dachten wir bei Albinismus, wie viele andere, an rote Augen und Lichtempfindlichkeit. Unser Sohn jedoch hat wunderschöne blaue Augen und sieht in jede Lampe rein. Erst später erfuhren wir das die meisten Menschen mit Albinismus blaue oder graue Augen haben. Und gerade kleine Kinder, die von Albinismus betroffen sind, häufig ins Licht blicken.

Damals bekam N. eine Sonnenbrille verschrieben, die er den Sommer über ohne Probleme trug. So mancher Passant hat unser Kind angesehen, mit der Sonnenbrille war er selbst in vollen Innenstädten ein Blickpunkt.

N. war zu diesem Zeitpunkt zu Hause ein sehr ruhiges Kind, er weinte wenig. Für Spielsachen interessierte er sich kaum, im Kinderwagen schlief er schon nach wenigen Metern ein. Sobald wir mit N. woanders waren, war er wie ausgewechselt. Er weinte viel, fühlte sich sichtlich unwohl und hörte nur auf zu weinen, wenn Mama und Papa in Sichtweite waren und er uns hören konnte. Viele Stimmen oder laute Geräusche brachten ihn zum Weinen. Zu lauten Geräuschen zählten der Föhn, Staubsauger, lautes lachen, laute Musik, eine Autohupe…
Räume die schlecht beleuchtet waren oder auch nur durch dunkle Möbel oder Fußböden dunkel wirkten machten ihm Angst und er weinte. Manchmal half es schon, wenn wir alle zur Verfügung stehenden Lampen einschalteten, aber ein anderes Mal konnte er sich auch dann nur schwer beruhigen.
Das warf für uns einige Probleme auf, Verabredungen mit Freunden oder Familie waren oft nicht möglich. Wenn wir uns dann früher verabschiedeten war das für viele unverständlich.

Als N. 6 ½ Monate war, waren wir noch mal zu einer Kontrolle in M., ohne das irgendwas getan wurde. Als wir nach einer Brille fragten, bekamen wir zur Antwort, das es für eine Brille noch zu früh sei.

Wir hielten es für wichtig N. best möglich zu helfen. Gerade in diesem Alter ist sehen wichtig für die Entwicklung. In dem Alter spielen andere Kinder mit Rasseln, sehen interessiert allen möglichen Dingen nach und versuchen sich fortzubewegen, N. schien sich für nichts zu interessieren, bzw. konnte sich nur ganz kurz auf etwas konzentrieren. Für uns sah es so aus als würde es ihn zu sehr anstrengen.

Mein Mann machte sich im Internet auf die Suche nach einer anderen Klinik. Auf der Internetseite www.nystagmus.de und www.albinismus.de konnten wir einiges nachlesen und traten in Kontakt mit Frau Dr. K. medizinische Beraterin der Selbsthilfegruppe NOAH und Oberärztin der Augenklinik der Uniklinik H.. Sie gab uns einen Termin und im August als N. 7 Monate alt war fuhren wir nach H.. Die zweistündige Fahrt nahmen wir gerne in Kauf .
Dort wurde N. untersucht und bei einem Sehtest wurden Werte festgestellt die bei beiden Augen um +2 lagen. Außerdem wurde der Verdacht auf Albinismus bestätigt. Allerdings handelte es sich nicht um okulären sondern um okulokutanen Albinismus, der Augen, Haut und Haare betrifft. Die Pigmentierung fehlt im gesamten Körper, die Haut ist sehr blass und sonnenempfindlich, die Haare sind hellblond fast weiß, die Augen hellblau, grau und haben je nach Lichteinfall einen rötlichen oder violetten Schimmer. (Bei okulärem Albinismus sind nur die Augen betroffen, d.h. dort fehlt die Pigmentierung. Der restliche Körper ist nicht betroffen. Haare und Haut sind normal pigmentiert, dunkle Haare und dunkle Haut sind möglich.) Und irgendwie waren wir danach ein wenig gefasster. N. bekam sein erstes Brillenpaar (Brille und Sonnenbrille) verschrieben. Damit gab es glücklicherweise keine Probleme. N. akzeptierte die Brille sofort und behielt sie fast den ganzen Tag auf. Hier und da verwendete er sie kurzzeitig als Spielzeug und wenn er müde wurde zog er sie aus. Die Sonnenbrille trägt er nur, wenn die Sonne extrem blendet, ansonsten nimmt er sie wieder ab. Nicht nur das unser Kleiner mit der Brille einfach zu süß aussah und überall der Hingucker war, er veränderte sich tagtäglich. Er interessierte sich immer mehr für seine Umgebung, seine Spielsachen… Beim spazieren sah er an Häuserwänden hoch, schaute zu, wie sich die Kinderwagenräder drehten, guckte nach allem was sich bewegt. Zuhause wurde er immer mobiler und vom einkaufen konnte er gar nicht genug bekommen. Er sah Dinge, die er vorher nie wahrgenommen hatte und war viel lebhafter. Die Brille hat N. wirklich sehr geholfen und er machte sich daran alles Versäumte aufzuholen. Keine Frage das wir echt glücklich und wahnsinnig stolz auf unseren Kleinen waren. Einer der schönsten Momente war wohl, als er anfing zu lächeln, als sein Papa die Treppe hochkam. Er ihn schon von „weitem“ (ca.3m ) erkannte.

Auf Anraten der Uni Klinik M. und der Uni Klinik H. hatten wir uns mit der Blindenschule N. in Verbindung gesetzt. Dort wurde der Antrag auf Frühförderung gestellt. Alle 4-6 Wochen kommt nun Frau H. von der Blindenschule zu uns nach Hause. Sie spielt mit N., steht uns für Fragen zur Verfügung, berät uns, gibt uns Tipps, beobachtet N`s. Entwicklungsstand und steht uns auch später zum Kindergarten und Schulbesuch zur Seite.
Wichtig für N. und seine Entwicklung ist das Sehen zu „trainieren“, wobei man dieses Wort bei einem so kleinen Kind nicht wörtlich nehmen darf. Für N. sind zum Beispiel gut beleuchtete Räume wichtig, da fühlt er sich sicher und kann alles ziemlich gut erkennen. Spielsachen die kontrastreich sind (die gelb-schwarze Tigerente, Duplo Spielzeug…), knallige Farben haben, glitzern, leuchten oder Geräusche von sich geben sind für ihn besonders interessant und bieten optische Anreize für N.. Indem wir mit N. spielen und dabei gezielt auf die Augen eingehen und spziell das „fern“ sehen fördern können wir N. helfen. Besonders gern spielt er mit Bällen oder seinen Stapeldosen, die er durch den Raum rollt, mit den Augen verfolgt und hinterher krabbelt. Inzwischen haben wir den Eindruck das N. seine Spielsachen schon von weitem erkennt und gezielt darauf zu krabbelt. Personen erkennt er schon aus ca. 10 m Entfernung. Um N. bei der Orientierung in unserem Wohnzimmer zu helfen (großes Fenster, Balkontür, heller Fußboden, viel Sonnenlicht) haben wir z.B. Fensterbilder an die Balkontür gemacht. N. kann die Tür besser erkennen und das auch dann wenn die Sonne wirklich hell ist und ein wenig blendet. Außerdem gibt ihm das Bild (in seiner Höhe angebracht) noch mal einen Anreiz zum Gucken.
So manches Mal staunen wir, was N. alles erkennt (z.B. griff er vorgestern gezielt nach einem schwarzen Filmdöschen auf unserem schwarzen Küchentisch). Das lässt uns hoffen, daß der Kleine doch recht gute Chancen hat.
Bisher sind alle zufrieden und N. entwickelt sich großartig. Inzwischen läuft er an einer Hand und an Möbeln entlang. Für kurze Momente kann er frei stehen. In fremder Umgebung fühlt er sich inzwischen auch wohl und auf laute Geräusche reagiert er längst nicht mehr so schreckhaft. Sein Entwicklungsstand hängt zwar zur Zeit noch hinter gleichaltrigen hinterher, aber er macht tolle Fortschritte.

Wir hatten genauso wie unsere Familie und Freunde keine Ahnung von Albinismus und Nystagmus und waren erst mal ziemlich ratlos. Für uns war es einfach wichtig, möglichst viel über die Krankheit zu erfahren, um ihr quasi den Schrecken zu nehmen und unser Umfeld, die Leute die mit uns und N. zu tun haben aufzuklären.
Von NOAH bekamen wir mit unseren Anmeldeformularen gleich einige allgemeine Informationen über Albinismus zugeschickt. In der ersten „Arche Noah“ der Mitgliederzeitschrift die wir bekamen, konnten wir auch endlich von den Erfahrungen anderer Betroffener lesen. Das hat sehr geholfen und uns jede Menge Mut gemacht. Besonders toll fand ich die Mailingliste im Internet, wo wir uns mit Betroffenen austauschen können und Fragen, die uns unter den Nägeln brennen von Betroffenen beantwortet bekommen.

Wir haben auf zwei DIN A 4 Seiten die Krankheit kurz erläutert und unsere bzw. N`s. momentane Situation geschildert und im Familien- und Bekanntenkreis verteilt.
Wir wollten einfach informieren und zu Fragen ermutigen. Im nachhinein erfuhren wir dann, das sich manche Leute einfach nicht getraut haben zu fragen, weil sie nicht wussten ob uns die Fragen recht sind. Andererseits bekamen wir auch zu hören, das wir N`s. Krankheit nicht so publik machen sollen. Uns ist aber wichtig das N`s. Krankheit kein Tabuthema ist. Er und auch wir müssen damit leben und damit umgehen.
Wir können seine Krankheit zwar nicht heilen, aber dennoch können wir viel für ihn tun. Ich hoffe wir können N. zu einem selbstbewussten und selbständigen Jungen machen. Ich wünsche mir das er immer den Mut und die Kraft hat Neues zu probieren und gegen Vorurteile und dumme Bemerkungen stand zu halten. Das liegt in unserer Hand! Unsere Erziehung wird ihm das hoffentlich ermöglichen.

Ich hoffe, wir konnten betroffenen Eltern ein wenig Mut machen und den ersten Schreck nehmen. Aus eigener Erfahrung wissen wir, daß man mit den vielen medizinischen Informationen allein nicht weiterkommt und Erfahrungen einem helfen alles ein wenig besser zu verstehen und nicht ganz so schwarz zu sehen.

Unser N. ist nun 1 Jahr alt und wir sind optimistisch, daß wir auf dem richtigen Weg sind, ihm einen guten Start ins Leben zu ermöglichen. Natürlich haben wir keine Ahnung wie er sich weiter entwickelt und wie er in Kindergarten oder Schule zurechtkommen wird, aber wir sind guter Dinge und werden das gemeinsam schon irgendwie schaffen…
Wir wünschen allen betroffenen Eltern und Kindern viel Kraft, Mut und Verständnis.

Fam. S. 2001